Unternehmen haben oft noch Probleme, wenn es um einen zufriedenstellenden Service bei den Kontaktkanälen für Kunden geht. Und das, obwohl diese Touchpoints so wichtig für die Kundenbindung sind. Die Studie „Contact Center Trends 2023” von Qualtrics in Zusammenarbeit mit dem Qualtrics XM Institute™ zeigt vier Trends auf, die sich für 2023 abzeichnen:
- Empathie ist wichtiger als Effizienz
- Ungelöste Kundenprobleme sind teurer denn je
- Kunden wollen gehört werden
- Omnichannel-Experience-Design ist keine Einheitsgröße
Für die Studie wurden mehr als 33.000 Verbraucherinnen und Verbrauchern in 29 Ländern über ihre Contact-Center-Experience befragt. Die klare Botschaft: Das Contact Center ist die treibende Kraft hinter einer erhöhten Kundenbindung.
Im Rahmen eines Conversation Cafés im Vorfeld der Online-Konferenz Shift/CX 2023 sprachen wir mit Michael Sann, Lead Consultant Presales bei infinit.cx, Svenja Kinzel, Head of Sales bei VIER sowie Matias Musmacher, Managing Partner bei O’Donovan Consulting, über den Status-quo bei Contact Centern sowie Hürden und Probleme bei der weiteren Entwicklung.
Contact Center: Status-quo in den Unternehmen und Hürden bei der Entwicklung
Im Zuge der Corona-Pandemie haben viele Organisationen auf neue, digitale Technologien für den Kundensupport und Kundenservice gesetzt. Dies hängt vor allem mit den gestiegenen Kundenerwartungen zusammen. „Schnell, kompetent und zuverlässig” sollte es für Kunden immer schon sein. Mit der Entwicklung neuer, digitaler Technologien hat sich diese Haltung noch einmal verändert: Nun wollen Kunden praktisch rund um die Uhr Antworten auf ihre Fragen erhalten.
Die Erwartungen speisen sich vor allem aus persönlichen Erfahrungen, die Kunden im privaten Leben machen. Menschen sind es heute gewöhnt, jede benötigte Information „24/7” finden zu können. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) spricht in einem Blogbeitrag von „Always-on“-Kultur. Diese Gewohnheit nehmen Kunden gedanklich mit, wenn sie in Kontakt zu Unternehmen treten – ob das morgens um 9 Uhr oder nachts um 1 Uhr ist.
Eine besondere Herausforderung, mit denen sich Kundenservice und Kundensupport heute konfrontiert sehen, ist die Erwartung hinsichtlich eines Omnichannel-Services. Viele (potenzielle) Kunden wechseln während eines Anliegens ihren Kontaktkanal, also zum Beispiel vom Live-Chat ans Telefon. Sie erwarten hier einen konsistenten Service. Das bedeutet: Der Kontakt mit dem Unternehmen soll sich wie eine einzige Unterhaltung darstellen – ohne Abbrüche und mehrmaliges, wiederholtes Schildern des Kundenanliegens.
Nachholbedarf beim Routing an die richtigen Agent*innen
Dies führt zu einer weiteren Herausforderung: Der Umsetzung eines kundenfreundlichen Routings. Hier haben viele Unternehmen, gerade im Mittelstand, noch Nachholbedarf. Beim Routing geht es darum, den Kunden an den richtigen Agenten beziehungsweise die richtige Agentin weiterzuleiten.
Beispiel: Ein Kunde meldet sich, weil er Probleme mit der Internetverbindung hat. Bei seiner Anfrage landet er zunächst beim Kundenservice, der ihn dann an die Technikabteilung weiterleitet. Aus irgendwelchen Gründen wird der Kunde dann wieder zurück an den Service verwiesen. Was ist frustrierender, als permanent in Warteschleifen geschickt zu werden, um das gleiche Anliegen danach wiederholt verschiedenen Service- und Support-Mitarbeitenden schildern zu müssen!
Schon heute gibt es in diesem Bereich technologische Unterstützung durch künstliche Intelligenz. Dabei können Kundendaten analysiert und genutzt werden, um Kunden nahtlos mit den richtigen Mitarbeitenden zusammenzubringen. Und das über den richtigen Kanal und zum richtigen Zeitpunkt.
Kundenorientierung ist eine Sache des Mindsets
„Der Kunde steht bei uns im Mittelpunkt.” „Bei uns ist der Kunde König.” Diese plakativen Formulierungen finden sich auf vielen Websites von Organisationen jeglicher Couleur. Aber welche (potenziellen) Kunden lassen sich davon noch hinter dem Ofen hervorlocken? Einmal unabhängig von der Tatsache, dass solche Formulierungen im Grunde nichtssagend sind.
Ob Kunden wirklich im Mittelpunkt stehen oder Könige sind, zeigt sich auch und besonders im täglichen Kontakt zwischen ihnen und den Mitarbeitenden im Contact Center. Hier stellen Kunden recht schnell fest, ob dieser Anspruch auch eingelöst wird. Ob Kundenorientierung tatsächlich gelebt oder einfach nur ein Skript abgearbeitet wird. Ob ihre Bedürfnisse, Wünsche und Probleme wirklich verstanden werden – was nur dann gelingt, wenn man ihnen in Ruhe zuhört.
Kunden zu verstehen ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, das Management von Contact Centern auch konsequent an diesem Verständnis auszurichten. Dies erfordert zusätzlich ein hohes Maß an Entschlossenheit und Veränderungsbereitschaft. Sprich, an einer Veränderung des eigenen Mindsets. „Customer first” passiert zuerst im Kopf, dann in der täglichen operativen Umsetzung! Alte Zöpfe müssen abgeschnitten werden, vor allem und häufig zuerst im Management.
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Average Handle Time: Mehr Fluch als Segen für Contact Center?
Im modernen Kundenservice dreht sich alles darum, den Kunden so schnell wie möglich zufriedenstellend zu betreuen. Die Begriffe „schnell” und „zufriedenstellend” in Kombination verwendet bergen eine gewisse Ambivalenz in sich, denn häufig schließen sie sich gegenseitig aus. Was schnell gelingt, kann, muss aber nicht zwingend zu zufriedenstellenden Ergebnissen führen. Der einseitige Fokus auf Quantität führt in vielen Fällen zu einem Abstrich an Qualität.
Im Contact Center kommt diese Ambivalenz im Konstrukt der Average Handle Time (AHT) zum Ausdruck. Sie ist eine der zentralen KPIs im Service. Bei der AHT spielt es keine Rolle, über welchen Kanal ein Kunde Kontakt mit dem Unternehmen aufnimmt. Es gilt: Beratungszeit ist bares Geld. Nimmer immer kommen bei dieser Philosophie Ergebnisse heraus, die den Kunden zufriedenstellen. Man darf sich fragen, ob diese Haltung nicht schon an sich nicht kundenorientiert ist. Wenn Agent*innen pro Anruf oder Kontakt bezahlt werden und gar nicht leisten können, was sie eigentlich leisten sollten:
- Kunden in Ruhe zuhören
- Versuchen, die Bedürfnisse, Wünsche und Problem von Kunden zu verstehen
- Auf die Bedürfnisse, Wünsche und Probleme von Kunden (empathisch) eingehen
Können Kunden dieses Verhalten nicht erkennen, ist es nicht verwunderlich, wenn sie unzufrieden mit der Qualität der Service-Gespräche und Interaktionen mit dem Unternehmen sind.Unerwünschte Nebenwirkungen einer einseitigen Fokussierung auf Schnelligkeit sind sowohl auf Seiten des Unternehmens als auch auf Kundenseite zu finden: So fühlen sich Kunden nicht selten abgefertigt und wie eine Nummer behandelt, während im Unternehmen selbst Kundengespräche schlampig nachbereitet werden und oft auch Stammdaten lückenhaft sind.
Technologie als Lösung?
Ob Chat- oder Voicebots: Nur, weil technologische Unterstützung im Contact Center möglich ist, heißt das noch lange nicht, dass Kunden auch zufriedenstellender betreut werden. Zwar ermöglichen bestimmte KI-Lösungen eine kontinuierliche und personalisierte Interaktion über die gesamte Customer Journey hinweg. Mit der Folge einer verbesserten Kundenerfahrung. Ob künstliche Intelligenz allerdings in jedem Fall nützlich ist, hängt stark vom Anliegen des Kunden ab. Beispiel: Wer sich über Produkte, Leistungen oder der Service beschwert, möchte nicht mit einem Bot sprechen. Er oder sie tut das in der Regel per Telefon, vielleicht noch per E-Mail. Kommen hingegen Bots zum Einsatz, merken Kunden sehr schnell, dass ihr Gegenüber kein Mensch ist.
Unternehmen sollten deshalb dort auf technologische Unterstützung setzen, wo sie tatsächlich hilfreich ist. Automatisierungen im Kundenservice sind nicht per se die bessere Lösung. Es geht darum, Automatisierung intelligent einzusetzen. So, dass Agent*innen durch KI assistiert werden, das Gespräch aber persönlich – und vor allem empathisch – bleiben kann. Technologische Unterstützung können etwa so genannte Agent-Assist-Systeme in Contact Centern bringen. Sie konzentrieren sich auf die Bereitstellung relevanter Informationen, Anleitungen und Unterstützung in Echtzeit. Agent*innen können so sicherer durch Gespräche navigieren. Die KI-Technologie dahinter erkennt zum Beispiel Schlüsselwörter und Phrasen und kann entsprechende Benachrichtigungen mit hilfreichen Inhalten auf dem Bildschirm von Agent*innen anzeigen.
Eine weitere Herausforderung ist der Zugriff von Mitarbeitenden im Contact Center auf alle Kundeninformationen. Das Problem: Eine Fragmentierung von Kundendaten über mehrere Systeme hinweg. Diese entsteht, weil Kundendaten häufig in Form von Transaktionen verarbeitet werden. Um jedoch die Kundenbedürfnisse erfüllen und Probleme des Kunden lösen zu können, sollten diese Daten nicht in einzelnen Kontaktsilos liegen. Dies erschwert den Einblick in den Kundenkontext mit der Folge einer verschlechterten Reaktionsfähigkeit. Kunden sind so mitunter gezwungen, sich zu wiederholen beziehungsweise verschiedenen Agent*innen ein und den gleichen Sachverhalt mehrmals zu vermitteln.
Menschlichkeit bleibt auch in Zukunft ein Wert im Contact Center
Ob mit oder ohne technologische Unterstützung: Kunden wollen heute mehr denn je gehört werden. Hier haben Contact Center einen entscheidenden Einfluss, aus Interaktionen mit Kunden wertvolle Informationen zu kanalisieren. Zuhören, verstehen, Verständnis zeigen, empathisch reagieren. Dem Kunden ist es egal, ob Agent*innen im Hintergrund durch KI unterstützt werden oder nicht. Die Hauptsache ist, das Anliegen wird geklärt oder das Problem gelöst. Das Gefühl, mit seinen Bedürfnissen, Wünschen und Problemen wahr- und ernst genommen zu werden, entscheidet darüber, ob ein Kunde sich ans Unternehmen bindet und im besten Fall eine langfristige Loyalität aufbaut.
Aktuell treiben technologische Entwicklungen die Unternehmen vor sich her. Technologien bestimmen die Strategien im Customer Service und die sich daraus ableitenden Organisationsmodelle und Kommunikationsstrategien. Doch eine zunehmende Automatisierung im Customer Service kann auch zum zweischneidigen Schwert werden. Dann nämlich, wenn Kosteneinsparungen eins zu eins auf den Dialog von Mensch zu Mensch übertragen werden. „Menschliche Kontakte sind aber der Klebstoff für langfristige Kundenbeziehungen und gesunde Organisationen”, schrieb Harald Henn, Experte für Customer Experience und Mit-Initiator des CEX Trendradar, schon 2020 in diesem Artikel.
Henn stellte damals eine Kernfrage für den Customer Service in den Raum: Wie schaffen wir eine gesunde Balance zwischen Menschlichkeit und notwendiger Digitalisierung und Automatisierung? Diese Frage stellt sich auch heute noch nach wie vor.
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