Erreichen wir den Punkt des Over-Surveying & der Feedback-Fatigue?

image-44901

"Customer Feedback" ist wichtig und immer mehr Unternehmen setzen darauf. Nach der Ära der Kundenpanels geht es derzeit gerade um transaktionales Feedback - sprich Feedback im Kontext einer konkreten Interaktion bzw. Transaktion zwischen Kunde und Unternehmen. Im Sinne der Kundenorientierung sollen und wollen Unternehmen Kundenerfahrungen erfassen und erforschen, was zufrieden macht und wo sie nachbessern müssen.

Da aber immer mehr Unternehmen diesen Weg gehen, begegnen uns als Verbraucher auch immer mehr Feedback-Befragungen. Sei es in der Apotheke oder im Baumarkt an der Kasse, im Online-Shop nach dem Checkout oder als Follow-Up-E-Mail und in der Service-App - überall wird unser Feedback erwartet. Dabei stellt sich die Frage: Sind wir als KundInnen überhaupt noch auskunftsfreudig? 

In einem aktuellen Beitrag auf Business Insider schreibt Adam Rogers:

Most of the time I'm not asked to evaluate the quality of a product or service. I'm asked to evaluate the experience, the meta-consumption that drives our hyperactive service economy. A tsunami of surveys has turned us all into optimization analysts for multibillion-dollar companies. Bad enough I'm providing free labor to help a transnational corporation improve its share price or "evaluate" a low-paid, overworked, nonunion employee. It's more than annoying. I'm starting to suspect it's unethical. (Quelle)

In der CX-Community sprechen wir zunehmend von der Survey- oder Feedback-Fatigue und dem Over-Surveying. Da aber das Customer Feedback die notwendige Grundlage für die Optimierung der Customer Experience darstellt, wollen wir uns in diesem Beitrag mit den Hintergründen und Vermeidungsempfehlungen für dieses Feedback-Reaktanzverhalten auseinander setzen.

Customer Feedback ist wichtig - aber funktioniert es noch?

Das Customer Feedback spielt eine zentrale Rolle im Customer Experience (CX) Management. Es dient nicht nur der Messung der Kundenzufriedenheit, sondern auch als entscheidender Hebel für die Optimierung und Verbesserung der Customer Experience. Durch systematisches Sammeln, Analysieren und Umsetzen von Kundenrückmeldungen können Unternehmen ihre Produkte, Dienstleistungen und Kundenschnittstellen kontinuierlich verbessern.

Bei der Konzeption von Kundenfeedbackerhebungen werden grundsätzlich transaktionale und relationale Ansätze unterschieden (siehe auch Beitrag / Rogator oder Beitrag / SurveyMonkey):

Transaktionale Kundenfeedbackerhebungen

Transaktionale Kundenfeedbackerhebungen konzentrieren sich auf einzelne Transaktionen oder Interaktionen mit dem Kunden. Sie zielen darauf ab, unmittelbares Feedback zu einer bestimmten Erfahrung oder Dienstleistung zu erhalten. Beispiele hierfür sind:

  • Umfragen nach einem Einkauf oder einer Serviceleistung
  • Bewertungen von Produkten oder Dienstleistungen
  • Feedback zu spezifischen Touchpoints wie Website, App oder Kundenservice

Relationale Kundenfeedbackerhebungen

Relationale Kundenfeedbackerhebungen konzentrieren sich auf die Gesamtbeziehung und -erfahrung des Kunden mit dem Unternehmen. Sie zielen darauf ab, ein tieferes Verständnis der Kundenbindung, -loyalität und -zufriedenheit zu erlangen. Beispiele sind:

  • Regelmäßige Umfragen zur Kundenzufriedenheit
  • Fokusgruppen und persönliche Interviews
  • Netzwerkanalysen zur Untersuchung von Kundenbeziehungen

Neben diesen beiden Hauptarten gibt es noch verschiedene andere Ansätze zur Kundenfeedbackerhebung, wie:

  • Kontinuierliche Feedbackschleifen durch In-App-Umfragen oder Feedback-Widgets
  • Analyse von Kundenbewertungen und -kommentaren in sozialen Medien
  • Auswertung von Sprachaufzeichnungen aus dem Kundenservice

Im Conversation Café zum "Customer Feedback Management" am 10.04. (siehe Rückblick und Aufzeichnung hier) diskutierten wir mit verschiedenen Experten über die aktuellen Entwicklungen im Bereich des Feedback-Managements. Dabei betonte das Panel die Wichtigkeit der Kundenfeedback-Programme, bemängelte aber auch, dass viel zu viele v.a. transaktionale Programme Feedback zu unspezifisch erfassten und zuwenig wertschätzten, so dass wir einen Punkt erreicht zu haben, an dem die Kunden mit einer Flut von Umfragen und Feedback-Anfragen überfordert sind. Das Ergebnis ist, dass sie genervt sind und sich immer weniger die Zeit nehmen, um ausführliche und ehrliche Rückmeldungen zu geben.

Die Herausforderung für Unternehmen besteht nun darin, Wege zu finden, um das Kundenfeedback-Management effektiver und effizienter zu machen.

Lernpfad Customer Journey Management

Worum geht es beim "Over-Surveying" und "Survey Fatigue"?

Wie im Artikel im Business Insider erläutert, fühlen sich Kunden durch die häufigen Aufforderungen zur Abgabe von Feedback zunehmend belästigt. Es entsteht der Eindruck, dass nahezu überall und ständig Feedback erwartet wird. Oft bleibt unklar, was mit den Rückmeldungen geschieht, sodass in der Regel nur Kunden mit extremen Erfahrungen – entweder sehr negativen oder außerordentlich positiven – sich zu einer Rückmeldung veranlasst sehen.

Die gezielte Ablehnung des Feedbackgebens ist auf zwei Phänomene zurückzuführen:

  • Over-Surveying: Dieses Phänomen beschreibt eine übermäßig hohe Frequenz von Feedback-Anfragen, die aus Sicht der Befragten zu einem Gefühl der Überforderung führen kann. Die ständigen Aufforderungen werden häufig als Belastung wahrgenommen und können das Empfinden der persönlichen Autonomie einschränken. Dies kann Reaktanz auslösen, einen psychologischen Widerstand gegen die wahrgenommene Freiheitseinschränkung.
  • Survey Fatigue: Survey Fatigue oder Feedback-Fatigue entsteht, wenn Kunden durch die häufigen Umfragen desinteressiert und verärgert werden. Diese Ermüdung führt dazu, dass die Teilnahme abnimmt, was sich in niedrigeren Rücklaufquoten und einer verschlechterten Qualität der Rückmeldungen niederschlägt. Befragte fühlen sich möglicherweise unterbewertet oder haben den Eindruck, dass ihre Beiträge keine erkennbaren Auswirkungen haben.

Das Ausmaß der Ablehnung wird oft unterschätzt. Um die negativen Auswirkungen von Over-Surveying und Survey Fatigue zu minimieren, müssen Unternehmen eine ausgewogene Feedback-Strategie entwickeln, die die Häufigkeit der Anfragen reduziert und die Relevanz der gestellten Fragen maximiert. Beim Conversation Café betonte Svenja Niemeyer von Qualtrics die Wichtigkeit, den Kunden zu vermitteln, dass ihr Feedback wertgeschätzt wird und tatsächliche Veränderungen bewirkt. Diese Diskussion unterstreicht, wie entscheidend eine sorgfältige Gestaltung des Feedback-Prozesses ist, um qualitativ hochwertiges und aussagekräftiges Feedback zu erhalten.

Empfehlungen und Ansätze zur Vermeidung von Reaktanzverhalten

Um das durch Over-Surveying und Survey Fatigue ausgelöste Reaktanzverhalten zu minimieren, ist eine umfassende Überarbeitung des Feedback-Managements notwendig. Hier sind einige praxisnahe Vorschläge, wie Unternehmen das Engagement ihrer Kunden stärken und negative Reaktionen reduzieren können:

  1. Effektive Nutzung des Feedbacks im Inner und Outer Loop:

    • Inner Loop: Unternehmen sollten sicherstellen, dass jedes Kundenfeedback schnell und effektiv bearbeitet wird. Dies bedeutet, dass auf individuelle Beschwerden oder Anfragen zeitnah reagiert wird, um unmittelbare Probleme zu lösen und den betroffenen Kunden eine persönliche Rückmeldung zu geben. Dies zeigt den Kunden, dass ihr Feedback ernst genommen wird und unmittelbare Auswirkungen hat.
    • Outer Loop: Parallel dazu sollten Unternehmen das gesammelte Feedback analysieren, um übergeordnete Trends und wiederkehrende Probleme zu identifizieren. Diese Erkenntnisse sollten genutzt werden, um systemische Veränderungen und Verbesserungen in Produkten, Dienstleistungen oder Prozessen zu implementieren. Dies trägt dazu bei, die Gesamtqualität der Kundenerfahrung zu verbessern und zukünftiges Reaktanzverhalten zu minimieren.
  2. Begrenzung der Umfragefrequenz:

    • Eine Beschränkung der Häufigkeit, mit der Kunden um Feedback gebeten werden, kann dazu beitragen, das Gefühl der Überlastung zu verringern. Eine klare Richtlinie zur maximalen Anzahl von Feedback-Anfragen pro Kunde sollte etabliert werden.
  3. Zielgerichtete Publikumssegmentierung:

    • Durch das gezielte Ansprechen spezifischer Kundensegmente können relevantere Feedback-Anfragen gestellt werden. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit für aussagekräftiges und qualitativ hochwertiges Feedback.
  4. Transparenz über die Verwendung des Feedbacks:

    • Es ist wichtig, Kunden klar zu kommunizieren, wie ihre Rückmeldungen genutzt werden. Die Darstellung konkreter Änderungen oder Verbesserungen, die auf Basis ihres Feedbacks erfolgen, kann das Gefühl der Wertschätzung und des Einflusses unter den Kunden stärken.
  5. Effiziente Umfragegestaltung:

    • Umfragen sollten kurz, prägnant und einfach zu verstehen sein. Eine effiziente Fragebogengestaltung, die auf überflüssige Fragen verzichtet und den Zeitaufwand für die Beantwortung minimiert, respektiert die Zeit der Kunden und verhindert Frustration.
  6. Möglichkeit zum Feedback-Opt-Out:

    • Den Kunden sollte die Möglichkeit geboten werden, sich von Umfragen abzumelden. Dies verstärkt das Gefühl der Kontrolle über ihre eigenen Daten und Interaktionen mit dem Unternehmen.
  7. Anreizsysteme:

    • Überlegte Anreize können die Bereitschaft zur Teilnahme an Umfragen fördern. Diese sollten jedoch sorgfältig eingesetzt werden, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass die Teilnahme erzwungen wird.
  8. Diversifizierung der Feedbackkanäle:

    • Unternehmen sollten neben traditionellen Umfragen auch alternative Methoden wie interaktive Plattformen, direkte Gespräche oder Feedback über soziale Medien in Betracht ziehen. Diese können eine weniger invasive und natürlichere Form der Kommunikation bieten.
  9. Regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Feedback-Strategien:

    • Feedback-Strategien sollten fortlaufend überprüft und basierend auf den Rückmeldungen und der Teilnahme der Kunden angepasst werden. Dies demonstriert eine flexible Reaktion auf Kundenbedürfnisse und kann dabei helfen, Reaktanzverhalten rechtzeitig zu adressieren.

Durch die Implementierung dieser Maßnahmen können Unternehmen nicht nur Reaktanzverhalten entgegenwirken, sondern auch eine positive und produktive Beziehung zu ihren Kunden aufbauen, die auf gegenseitigem Respekt und Verständnis basiert.

Fazit und Ausblick

Die wachsende Bedeutung von Customer Feedback ist unbestreitbar, jedoch hat die zunehmende Häufigkeit von Feedback-Anfragen zu einer ernsthaften Herausforderung in Form von Survey Fatigue und Over-Surveying geführt. Unternehmen stehen vor der Aufgabe, nicht nur die Quantität, sondern vor allem die Qualität und Relevanz der gesammelten Rückmeldungen zu verbessern, um wirkungsvolle Einblicke in die Kundenbedürfnisse zu gewinnen.

Die Notwendigkeit, das Customer Feedback Management strategisch hinsichtlich seiner Ausrichtung wie auch Umsetzung zu überdenken, ist essentiell, um das Engagement der Kunden zu fördern und Reaktanzverhalten zu minimieren.

Es bleibt weiterhin eine wichtige Diskussion in der CX-Community, wie Feedback-Strategien gestaltet werden sollten, um sowohl den Bedürfnissen der Unternehmen als auch den Erwartungen der Kunden gerecht zu werden. Die fortlaufende Evaluierung und Anpassung dieser Strategien sind notwendig, um sich an verändernde Kundenpräferenzen und Marktdynamiken anzupassen.

Im Kontext des Conversation Cafés (Aufzeichnung) haben wir auch über die Rolle der KI gesprochen und konnten ihr dabei eine transformative Rolle zuschreiben. KI kann dabei helfen, große Mengen an Feedback-Daten effizienter zu analysieren, Muster zu erkennen und personalisierte Feedback-Erlebnisse zu schaffen, die auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind. Beispielsweise könnte KI verwendet werden, um:

  • Feedback in Echtzeit zu analysieren und sofortige Maßnahmen zu ergreifen, was das Schließen des Inner Loops beschleunigt.
  • Kundenverhalten und -präferenzen zu prognostizieren, um Feedback-Anfragen präziser und relevanter zu gestalten.
  • Automatisierte, aber personalisierte Kommunikation zu ermöglichen, die die Kundeninteraktion verbessert und gleichzeitig das Gefühl der Überflutung durch Standardumfragen reduziert.

Es sollte daher weiter diskutiert werden, inwieweit KI ethisch und effektiv eingesetzt werden kann, ohne die Privatsphäre der Kunden zu kompromittieren oder eine Überabhängigkeit von technologischen Lösungen zu fördern. Die Balance zwischen technologischer Effizienz und menschlicher Empathie bleibt ein kritischer Punkt in der weiteren Entwicklung des Customer Feedback Managements.